Jeder & Solche

2008 Feb

Der Körper ist der Ort, der das Ich zusammenhält. Jeder Körper ist sexuell. Und die Jungs glotzen, weil die Jungs ficken. Kein Grund zur Panik. Kein Grund zur Angst. Den Körpern ist keine Betriebsanleitung beigelegt, wie die Öffnungen zu nutzen sind. Jeder kann tun, was keinem schadet. Jeder ist vor dem Gesetz gleich. Und jeder wird in eine heterosexuelle Welt geboren. Jeder & Solche.

Solche sind jeder, die seit der "Erfindung der Homosexuellen" im 19. Jahrhundert eine Gruppe bilden, die einen Namen hat. Schwul ist positive Selbstbenennung und Schimpfwort, ist im heutigen Sprachgebrauch Synonym für gleichgeschlechtliches Begehren und unter Jugendlichen eben auch für ?den letzten Dreck?. Beide Wortbedeutungen sind gebräuchlich, um Körper mit Bedeutung zu markieren, sind Werkzeug und Waffe. Namen tendieren dazu, Identität zu erzwingen. Gibt es sie wirklich, die schwule "Identität"? Was verbindet die Gruppe derer, die diesen Namen trägt? Schwul ist der, der Schwules tut! Offen schwul sein, heißt immer auch als sexuell aktiver Körper sichtbar zu sein. Wo lässt sich leibliche Präsenz besser verhandeln als auf der Körperschaustelle Theater!

"Wenn sich zwei schwule Männer auf der Straße küssen, finde ich das abstoßend" sagten 2007 über 50% der befragten männlichen Jugendlichen. Grund zur Angst? Anders als die Hautfarbe kann sexuelle Orientierung situativ unsichtbar bleiben, sich verstecken; z. B. aus Sorge um leibliche und soziale Unversehrtheit. Befragt nach No-Go-Areas in Berlin antworten Schwule: Marzahn, Hellersdorf, Lichtenberg, Teile Neuköllns und Weddings. Schiefe Blicke in Steglitz, Charlottenburg, Reinickendorf, Wilmersdorf und Spandau. Heteros sagen: Von Skins angepöbelt werden in Friedrichshain, das kann schließlich jedem passieren. Macht doch nicht so ein Theater!

Bedrohungsszenarien in der Mitte der Gesellschaft? Keine Panik! Keine Angst! Zeigt euch eure markierten Körper! Seid nicht normal, seid revolutionär! Homo-Sexualität stellt die Ideologie der Natürlichkeit in Frage. Versichert euch der eigenen Existenz! Wenn sie bedroht wird: Seid wütend! Rastet aus, wenn ihr wollt! Stellt euch quer! Bringt den Betrieb zum Stillstand!

Keine Toleranz! Wie schwul ist das denn? Während die Heteronormativität zu einer Zurichtung von Körpern führt, eröffnet die schwule Praxis dieses Projekts neue Perspektiven für Solche und Jeden. Eine szenisch-performative Wahrheitserfindung, gespickt mit authentischen Interviews, radikalen Ansichten und Fleisch.

"Wir müssen nicht entdecken, dass wir Homosexuelle sind. Eher müssen wir ein schwules Leben entwerfen. Werden." Michel Foucault


Mit Christian Bormann / Konstantin Achmed Bürger / Alexander Schröder / Heiko Senst / Ingmar Skrinjar Regie Michael Müller Dramaturgie Heike Pelchen Raum Silke Bauer Fotos Martin Profittlich Produktion blint c/o Theaterdiscounter